Die Manufaktur ist mein Wohnzimmer. Bei der Arbeit genieße ich den Blick auf das Leben in der Stadt.
Maßschuhmacherin

Der Campiello del Sol liegt nur wenige Gehminuten von der Rialtobrücke entfernt. Dennoch ist er weit weg vom massentouristischen Venedig. Unauffällige Fassaden säumen den Platz im Viertel San Polo. An der Ecke wartet eine Pizzeria auf Gäste. Im hintersten Winkel des Campiello liegt eine unscheinbare Werkstatt: die Schuhmanufaktur von Gabriele Gmeiner.
Hinter unverputztem Mauerwerk und einer großen Scheibe fertigt die Österreicherin seit 16 Jahren die wohl edelsten Schuhe der Stadt. Doch vom Prunk der Paläste oder dem Glanz der Festspiele ist hier zunächst nichts zu sehen. Fast archaisch wirkt Gabriele Gmeiners Arbeitsplatz mit den traditionellen Werkzeugen an der Wand und mit dem Mobiliar aus grobem Holz. Kaum zu glauben, dass hier rahmengenähte Schuhe entstehen, die zwischen 2.500 und 12.000 Euro pro Paar kosten.
„Die Manufaktur ist mein Wohnzimmer“, sagt Gabriele Gmeiner. „Bei der Arbeit genieße ich den Blick durch meine Scheibe auf das Leben der Stadt. Kinder spielen auf dem Platz. Und wenn Nachbarn am Fenster vorbeilaufen, grüßen sie mich mit einem Winken.“
Man könnte Gabriele Gmeiner eine Schuhmacherin nennen. Aber das wäre ein gehöriges Understatement. Ihre rahmengenähten Schuhe sind Symphonien, und die 46-Jährige achtet auf jede Vierundsechzigstel-Note.

Monatelange Wartezeit für lebenslange Liebe
Diese Sorgfalt und Liebe zum Detail schlägt sich in jedem Arbeitsschritt nieder. Nach einem Vorgespräch mit dem Kunden nimmt Gabriele Gmeiner an seinen Füßen Maß, sowohl im Stehen als auch im Sitzen. Danach feilt sie aus einem Buchenholzrohling in vier bis fünf Tagen die Leisten. Diese Abbilder der Füße geben zunächst die Form für ein Paar Probeschuhe vor, die Gabriele Gmeiner aus Materialien zweiter Wahl fertigt und die der Kunde zwei Wochen lang trägt. „Ganz wichtig ist es, dass ich den Probeschuh beim Tragen sehe, um Eindrücke zu sammeln“, sagt Gabriele Gmeiner. Auf dieser Grundlage kann sie am Leisten feinste Anpassungen vornehmen, etwa an eventuellen Druckstellen.
Die Anfertigung der eigentlichen maßgefertigten Schuhe kann bis zu eineinhalb Jahre dauern. „Nicht nur die Handarbeit selbst ist sehr aufwendig“, erklärt Gabriele Gmeiner. „Der Schuh benötigt auch eine lange Ruhezeit auf dem Leisten.“ Überdies könne es bei den hochwertigen Materialien zu Wartezeiten kommen. Gabriele Gmeiner verwendet für ihre rahmengenähten Schuhe vor allem Rindsleder, das in einer Eichenlohe aus Rinde und Eicheln gegerbt wird. „Dieser natürliche Prozess ist vergleichbar mit einem Parmesankäse, der 48 Monate reift und dabei besondere Qualitäten entwickelt“, erklärt sie. Das Oberleder bezieht Gabriele Gmeiner aus Frankreich, das Futterleder aus Pakistan. Zuweilen verwendet sie auch Cordovan-Pferdeleder von Horween, einer traditionsreichen Fabrik aus Chicago.


Maßschuhe sind ein sehr individuelles Thema. Meine Kunden können ihre Wünsche auch noch während der Herstellung mit einbringen.
Maßschuhmacherin
Hochwertige Materialien mit Persönlichkeit
Abgesehen von einer Praktikantin hat Gabriele Gmeiner keine Mitarbeiter. Sie erledigt die meisten Handgriffe selbst, bearbeitet bis zu 20 Aufträge gleichzeitig und schafft folglich nur zwei bis drei Paar pro Monat. Bei Form, Farbe und Material richtet sich Gabriele Gmeiner nach den Wünschen ihrer Kunden. „Maßschuhe sind ein sehr individuelles Thema“, erklärt die Handwerks-Künstlerin. „Der Kunde kann sich hier in der Werkstatt mit einbringen und seine Wünsche auch noch während der Herstellung mit einfließen lassen.“
Meist schwebt den Kunden ein eher klassisch-konservatives Design vor. Die Herren bevorzugen Oxford-Schuhe, Loafer, Budapester oder Derby-Schuhe. Etwa 85 Prozent von Gabriele Gmeiners Kundschaft sind männlich. „Frauen suchen wohl eher das Einkaufserlebnis“, erklärt sich Gabriele Gmeiner dieses Phänomen. „Viele Männer hingegen schätzen es, dass sie ohne großen Aufwand weitere maßgefertigte Schuhe bestellen können, die anhand ihres persönlichen Leistens angefertigt werden können.“ Gabriele Gmeiner bewahrt jeden Leisten auf. Einige hundert Exemplare hängen in ihrer Werkstatt von der Decke herab. Das zweite und jedes weitere Paar rahmengenähte Schuhe dauert in der Herstellung nur ein paar Monate.
Von Künstlern bis zum Prinzen aus Bahrain
Zu den treuen Kunden zählt ein Prinz aus Bahrain. „Einmal hat er zehn Paar auf einmal bestellt. Das hat mich arg an die Grenze meiner Kapazitäten gebracht“, erinnert sich Gabriele Gmeiner. Unternehmer und Manager gehören ebenso zu ihrem Kundenstamm wie Künstler oder Hochadelige. Was sie eint, ist eine besondere Wertschätzung von Schuhen, die über einen kurzlebigen Modeartikel weit hinausgehen. Die Schuhmanufaktur von Gabriele Gmeiner ist nicht der richtige Ort, um einem Trend nachzulaufen.
Gabriele Gmeiner stammt aus dem gebirgigen Vorarlberg im Westen von Österreich – und aus einer, wie sie sagt, „ganz normalen Mittelklassefamilie“. Ursprünglich wollte sie Bildhauerin werden. „Dann aber entschied ich mich für angewandte Kunst, für die Schuhmacherei“, erzählt sie. Ihr Werdegang führte sie Anfang der Neunzigerjahre ans Cordwainers College, das heute zur London School of Fashion gehört. Der Name Cordwainers steht für allerhöchste Schuhmacherkunst. Weitere Stationen waren die Londoner und Pariser Werkstätten von John Lobb, der für den Prince of Wales, für Frank Sinatra und Enrico Caruso Maßschuhe fertigte. Auch beim Modehaus Hermès sammelte Gmeiner Erfahrungen.


Venedig ist eine Stadt der Fußgänger.
Maßschuhmacherin
Der größte Luxus: auf eigenen Füßen stehen
Im Jahr 1997 kam Gabriele Gmeiner in die italienische Provinz Venetien. In Mestre, Venedigs Nachbarstadt auf dem Festland, setzte Rolando Segalin auf ihre Dienste. Segalin zählt zu den Großen der italienischen Schuhmacherkunst. Nach drei Jahren bot er Gabriele Gmeiner an, seine Werkstatt zu übernehmen. Die damals 31-Jährige entdeckte jedoch die kleine Werkstatt am Campiello del Sol und entschied sich für die Selbstständigkeit. Eine eigene Werkstatt in Venedig – das klingt nach einem erfüllten Lebenstraum. Für Gabriele Gmeiner war es eher eine Vernunftentscheidung, wie sie erklärt: Dank des starken Kulturtourismus habe Venedig eine Klientel, die sich maßgefertigte Schuhe leisten kann und will.
Wenn Kunden Gabriele Gmeiners Geschäft aufsuchen, können sie nicht einfach mit dem Auto vorfahren. Venedig hat als autofreie Stadt seine spezielle Art der Mobilität. Man fährt Boot, geht viel zu Fuß und lernt dabei die Vorzüge eines guten Schuhwerks zu schätzen.
Rahmengenähte Schuhe haben für Gabriele Gmeiner einiges mit Premium-Fahrzeugen gemeinsam. Wer sie trägt beziehungsweise fährt, der pflegt einen distinguierten Zugang zur Fortbewegung. Dem geht es nicht um das simple Erreichen eines Ziels. Bei handgefertigten Schuhen und hochwertigen Autos oder auch Booten steht das angenehme und individuelle Unterwegs-Erlebnis im Mittelpunkt.
Wie eine zweite Haut

Wie eine zweite Haut
„Venedig ist eine Stadt der Fußgänger“, sagt Gabriele Gmeiner. Die Schuhkünstlerin, die mit einem Italiener verheiratet ist, lebt von Laufkundschaft im edelsten Sinne des Wortes. Auch die Bewohner der Stadt gelten als stilvoll und den schönen Dingen zugetan. Zu ihrem Schuhwerk indes haben Venezianer nach Gabriele Gmeiners Beobachtung ein eher stiefmütterliches Verhältnis: „Viele tragen einfach Sportschuhe.“
Maßgefertigte Schuhe sind gewiss eine Art von Luxus, für Gabriele Gmeiner aber auch ein Gebot der Vernunft. „Wenn man schlecht steht oder ungünstig geht, überträgt sich das auf den ganzen Körper“, erklärt sie. „Maßschuhe sind wie eine zweite Haut. Sport- und Konfektionsschuhe lassen dem Fuß zu viel Platz und geben stark nach. Deshalb muss die Fußmuskulatur nicht arbeiten und bildet sich zurück.“ Die Folgen kann man oft an der Körperhaltung sehen und insbesondere an der Wirbelsäule zu spüren bekommen.
Mitunter scheint schon die Aussicht auf Maßschuhe Linderung zu verschaffen, wie Gabriele Gmeiner schmunzelnd erzählt: „Ein berühmter Cellist hatte mit Rückenproblemen zu kämpfen und erhoffte sich Abhilfe durch maßgefertigte Schuhe. Als er dann hier in der Werkstatt warten musste, setzte er sich auf die harte Holzbank – und war mit einem Mal beschwerdefrei, zumindest für den Augenblick.“
Natürlich trägt auch Gabriele Gmeiners Sohn Maßschuhe. Seine Leisten hängen direkt über der Werkbank. Wenn sie mit dem sechsjährigen Giacomo durch die Gassen von Venedig streift, genießt sie die verborgenen Rückzugsorte, die kaum ein Tourist kennt. Zu ihren Lieblingsorten zählen die Südseite von La Giudecca und die ehemalige Gemüse-Insel Sant’Erasmo.
Gabriele Gmeiner hat ihren Mikrokosmos in einem sehr authentischen Teil der Lagunenstadt gefunden. Venedig fasziniert und inspiriert sie immer wieder aufs Neue, gerade auch in Bezug auf ihre angewandte Kunst. Dabei lässt sie nicht nur die großen Werke von Tizian oder Tintoretto auf sich wirken. „Inspirationen kommen oft ganz unverhofft“, erzählt Gabriele Gmeiner. „Zum Beispiel bei Spaziergängen in der Stadt oder an der Lagune.“ Sie lässt sich gerne treiben. Aber nicht im Wasser, sondern zu Fuß.





Viele von Gabriele Gmeiners Kunden suchen in Venedig – neben hochwertigen Schuhen – stilvolle Refugien abseits von Alltagsstress und Touristentrubel. Hier ihre fünf Empfehlungen für die feinsten Häuser der Lagunenstadt.
Aman Venice

Aman Venice
Das Luxushotel Aman Venice ist die angesagte Adresse für Luxusurlaub in Venedig. In dem historischen Palast aus dem 16. Jahrhundert mit Architektur von Sansovino und Fresken von Tiepolo feierte George Clooney seine Hochzeit. Direkt am Canal Grande gelegen, laden 24 luxuriöse Zimmer und Suiten sowie ein malerischer Garten direkt am Wasser zum Abschalten ein. www.aman.com
Palazzo Venart Luxury Hotel

Palazzo Venart Luxury Hotel
Auch das Fünfsterne-Luxushotel verbirgt sich in einem Palast aus dem 16. Jahrhundert. Der Palazzo Venart, zu finden in einem etwas ruhigeren Teil des Viertels Santa Croce nordwestlich von Rialto, ist eine echte Luxusoase. Mein Lieblingsplatz: der elegante, symmetrisch angelegte Garten. Von dort aus kann man bei einem Espresso oder Glas Wein wunderbar den Canal Grande überblicken. www.palazzovenart.com
Palazzo Abadessa

Palazzo Abadessa
Ein stilvolles Viersternehotel nahe dem Ca’ d’Oro und nördlich von Rialto. Fresken aus dem 16. Jahrhundert, Mobiliar aus dem 18. Jahrhundert und ein für venezianische Verhältnisse ungewöhnlich großzügiger Garten machen diesen Ort zur Ruhe- und Inspirationsquelle. www.abadessa.com
Al Ponte Antico

Al Ponte Antico
Mittendrin und mit besten Aussichten. Das sehr klassische Viersternehotel steht am Canal Grande. Nur wenige Schritte von der Rialtobrücke entfernt, genießt man das berühmte Wahrzeichen hier aus der ersten Reihe. www.alponteantico.com
Hotel Heureka Venedig

Hotel Heureka Venedig
Eine bezaubernde Kombination aus venezianischem Palazzo und Design-Hotel im nördlichen, sehr ruhigen und authentischen Teil von Venedig nahe der Kirche Madonna dell’Orto. Perfekt für Besucher, die eine Unterkunft abseits des Trubels und des Mainstreams suchen. www.hotel-heureka.com