Sehen und gesehen werden. In Professor Dr. Thomas Neuhanns Praxis herrscht reges Treiben. Kein Wunder. 75 Prozent der Menschen weltweit tragen eine Brille oder Kontaktlinsen. Seit mehr als 30 Jahren ist Prof. Dr. Neuhann als Augenchirurg tätig. Er ist der Gründer und medizinische Leiter der deutschen ALZ Augenklinik München und einer der wenigen international anerkannten deutschen Ophthalmochirurgen. Und er kennt die Antworten auf die wichtigsten Fragen rund um das Thema Brille hinter dem Steuer – Sehhilfe und/oder Sonnenbrille.
Warum muss eine Autofahrerbrille unbedingt entspiegelt sein?
Was ist der größte Fehler, den ich beim Kauf einer Sonnenbrille machen kann?
Ist eine polarisierte Sonnenbrille hinter dem Steuer zu empfehlen?
Warum sollte man auf bunte Brillengläser im Straßenverkehr verzichten?
Ist eine Sonnenbrille mit Verlaufstönung die bessere Autofahrerbrille?
Wann wird eine Brille fürs Autofahren benötigt?
Machen Sie den Selbsttest: Sie erkennen aus 100 Meter Entfernung ein Straßenschild nicht mehr? Willkommen im Brillenträger-Club! Erste Symptome für eine Sehschwäche sind zudem erhöhte Lichtempfindlichkeit, Spannungs- oder Druckgefühle im Bereich der Schläfen oder Kopfschmerzen nach langem Lesen.
Ein Sehtest gibt Aufschluss darüber, ob Sie unter Kurzsichtigkeit (Myopie) oder Weitsichtigkeit (Hyperopie) leiden und welche Brillengläser Sie in Zukunft benötigen. „Wenn man beim Sehtest nicht mindestens auf jedem Auge eine Sehschärfe von 70 Prozent erreicht, benötigt man beim Autofahren eine Sehhilfe“, erklärt Augenarzt Prof. Dr. Neuhann. Das deutsche Kuratorium „Gutes Sehen e.V.“ rät deshalb, die Augen regelmäßig testen zu lassen: ab einem Alter von 20 Jahren alle vier Jahre, ab 40 alle zwei Jahre und ab 60 jedes Jahr.
Sind selbsttönende Brillen beim Autofahren zu empfehlen?
In den 60er Jahren stießen zwei Chemiker durch Zufall auf eine Formel, mit der sie Brillengläser so verändern konnten, dass diese auf den unsichtbaren ultravioletten Anteil des Sonnenlichts reagieren. „Selbsttönende Brillengläser haben allerdings den Nachteil, dass ihre Tönungstiefe temperaturabhängig ist. Bei Kälte sind die Gläser dunkler als bei Wärme. Die Tönung und besonders die Wiederaufhellung benötigen Zeit. Bei abrupten Helligkeitswechseln reagieren die Gläser deshalb verzögert. Ein riesiges Problem, zum Beispiel bei Tunnelfahrten! Außerdem haben sie immer eine geringe Grundtönung – sind also nie ganz weiß“, erklärt Prof. Dr. Neuhann. Deswegen sollte man auf selbsttönende Brillengläser hinter dem Steuer verzichten.
Sind Gleitsichtbrillen für den Straßenverkehr geeignet?
Eigentlich praktisch. Diese Brille vereint mehrere Sehlösungen in einem Brillenglas. Die Korrektur geht dabei stufenlos gleitend von oben nach unten, von der Fern- in die Nahsicht über. „Gleitsichtbrillen sind grundsätzlich vorteilhaft, weil man in allen Entfernungen scharf sieht, ohne die Brille wechseln zu müssen“, erklärt Prof. Dr. Neuhann. „Dies hat aber auch den Nachteil, dass Gleitsichtgläser beim seitlichen Durchblick im Nahteil mehr oder weniger verzerren und ganz scharf nur im Bereich des geraden Durchblicks abbilden. Die meisten Menschen gewöhnen sich rasch daran. Wenn man mit einer Gleitsichtbrille im täglichen Leben gut zurechtkommt, ist sie auch hinterm Steuer eine akzeptable Autofahrerbrille.“
Es gibt keine spezielle Brille für Nachtfahrten, die wirklich funktioniert.
Gibt es eine spezielle Nachtfahrbrille?
Wenn man nachts hinterm Steuer sitzt, ist das Schwerstarbeit für die Augen. Die innere Körperuhr ist auf Ruhe eingestellt. Bei Dunkelheit und schlechter Sicht mit wechselnden Lichtverhältnissen müssten sich die Augen ständig neu anpassen, was unweigerlich zu Reaktionsverzögerungen führt. Zwar werden spezielle Brillen für Nachtfahrten mit gelben Gläsern von diversen Herstellern angepriesen, doch auf wissenschaftlich-medizinischer Ebene ist ihre Wirkung umstritten. Nach Meinung von Experten sind die Gläser der Brille für Nachtfahrten nicht in der Lage, die Sicht zu verbessern. Und was sagt unser Experte dazu? Machen wir's kurz. „Nein, es gibt keine spezielle Brille für Nachtfahrten, die wirklich funktioniert“, entgegnet Prof. Dr. Neuhann, „einfache, klare, ungetönte Gläser – und keine gelben – sind das Beste.“
Was ist Nachtkurzsichtigkeit?
Nachtkurzsichtigkeit (Nachtmyopie) ist eine besondere Form der Kurzsichtigkeit, von der sogar manchmal Normalsichtige betroffen sind. Tagsüber sehen sie scharf und deutlich, nachts haben sie dagegen Probleme, entfernte Gegenstände zu erkennen. „Manche Menschen haben in der Nacht etwas mehr Kurzsichtigkeit. Dies kann man beim Augenarzt nachprüfen lassen und eine Brille kaufen, die man nur hinterm Steuer und nur bei Dunkelheit trägt“, erklärt Prof. Dr. Neuhann.
Warum muss eine Autofahrerbrille unbedingt entspiegelt sein?
Glas ist durchsichtig. Klar. Dennoch sieht ein Brillenträger oft Lichtpunkte, die im eigentlichen Sichtfeld gar nicht vorkommen. Sie entstehen, indem sich rückwärtige Lichtquellen an den Brillengläsern spiegeln. Eine Entspiegelung der Brille ist aus diesem Grund extrem wichtig und wird von Augenarzt Prof. Dr. Neuhann in jedem Fall empfohlen. Dabei werden unterschiedliche sehr dünne Schichten aus Magnesiumfluorid mithilfe von Dampf auf die Vorder- und Rückseite der Brillengläser aufgetragen. Dadurch schalten sich die Lichtwellen gegenseitig aus und es kommt keine Reflexion zustande. Gerade bei Nässe, Schnee, Sonneneinstrahlung und blendenden Scheinwerfern werden gefährliche Streureflexionen völlig aufgehoben. Doch was ist, wenn die Entspiegelung mit der Zeit nachlässt? „Entspiegelte Gläser können nicht nachentspiegelt werden. Wenn sie einmal verkratzt sind oder abgeschabt wurden, braucht man neue Brillengläser“, bestätigt Prof. Dr. Neuhann.
Welche Tönung der Sonnenbrille ist ideal für das Autofahren?
Wenn Sie auf die Innenseite Ihres Sonnenbrillen-Bügels schauen, finden Sie dort eine Zahl von 1 bis 4. Dabei handelt es sich um die Blendschutzkategorie, nicht zu verwechseln mit dem UV-Schutz. Beim Blendschutz handelt es sich um die verschiedenen Tönungen der Gläser, von hell bis dunkel. Je höher die Zahl, desto dunkler der Filter und desto höher die Lichtabsorption. „Den perfekten Blendschutz für eine Autofahrerbrille muss man individuell nach Empfindlichkeit und Komfort erproben und dann entscheiden“, empfiehlt der Augenarzt Prof. Dr. Neuhann. Brillen der Kategorie 4, mit einem extrem dunklen Filter, sind allerdings fürs Autofahren ungeeignet.
Finger weg von billigen Gläsern, die keinen ausreichenden UV-Schutz bieten.
Was ist der größte Fehler, den ich beim Kauf einer Sonnenbrille machen kann?
„Finger weg von billigen Gläsern, die keinen ausreichenden UV-Schutz bieten“, rät Prof. Dr. Neuhann. „Eine Sonnenbrille muss immer zu 100 Prozent abliefern.“ Billigbrillen kommen die Augen teuer zu stehen. Die dunkle Tönung sorgt dafür, dass die Pupillen sich bei Sonneneinstrahlung nicht zusammenziehen. Gleichzeitig gerät das schädliche UV-Licht ungefiltert ins Auge. Die Netzhaut wird beschädigt und das Auge bekommt einen buchstäblichen Sonnenbrand.
Jeder muss selbst für sich entscheiden, ob er eine polarisierte Sonnenbrille bevorzugt.
Ist eine polarisierte Sonnenbrille hinter dem Steuer zu empfehlen?
Sollte man auf polarisierte Sonnenbrillen zurückgreifen? Vorteil: Eine polarisierte Sonnenbrille kann Lichtreflexionen, etwa durch Spiegelungen auf nasser Straßenoberfläche, reduzieren und die Kontraste verschärfen. Nachteil: Der Blick auf alle Bildschirme wird massiv eingeschränkt. Der Grund: LCD-basierte Displays, wie Navigationsgeräte, sind ebenfalls mit einem Polarisationsfilter ausgestattet. Die Filterfunktionen von Display und Brille überschneiden sich, sodass der Bildschirm schwarz aussieht. Deswegen rät der Experte Prof. Dr. Neuhann: „Jeder muss selbst für sich entscheiden, ob er eine polarisierte Sonnenbrille bevorzugt. Eine direkte Empfehlung kann ich nicht aussprechen.“
Warum sollte man auf bunte Brillengläser im Straßenverkehr verzichten?
Ist die Ampel nun rot oder grün? Wer bunte Brillengläser trägt, könnte Lichter und Farben im Verkehr falsch wahrnehmen. Die perfekte Autofahrerbrille bei Sonnenschein sollte deswegen braune oder graue Gläser haben.
Ist eine Sonnenbrille mit Verlaufstönung die bessere Autofahrerbrille?
Eine Lichtdämpfung im oberen Bereich der Brillengläser und eine hellere Tönung im unteren Bereich hat im Straßenverkehr weder Vor- noch Nachteile. „Verlaufstönungen werden manchmal subjektiv als angenehm empfunden, weil man in der Ferne einen gewissen Lichtschutz, in der Nähe aber keine Abdunklung hat – einen speziellen Vorteil haben sie jedoch sonst nicht“, sagt Prof. Dr. Neuhann.
Ist das Design der Sonnenbrille wichtig?
Neben den Brillengläsern gibt es auch zum Design der perfekten Autofahrerbrille klare Empfehlungen. Zu breite Brillenbügel beeinflussen beim Autofahren das Sichtfeld. Der Fahrer darf nicht im peripheren Sehen eingeschränkt werden. Die Wahrnehmung „aus dem Augenwinkel“ ist extrem wichtig. Die Bügel der Sonnenbrille sollten daher im Schläfenbereich schmal sein, empfiehlt Augenarzt Prof. Dr. Neuhann. Mit schlichtem Design und hochwertigen Materialien fährt man immer noch am besten.
Autor: Nina Kleine-Vogelpoth