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Eine gute Lenkung macht ein Auto präzise und mühelos fahrbar. Sie prägt maßgeblich die Freude am Fahren.
Verantwortlich für die pure Freude am Fahren sind zahlreiche Faktoren: das Design, der Motor, das Fahrwerk und die Lenkung. Die Lenkung? Genau, auch die. Doch was macht eine exakt abgestimmte Lenkung aus? Und warum fährt ein BMW, wie sich eben nur ein BMW fährt? Einblicke in den Abstimmungsprozess geben zwei Experten: Steffen Koch, BMW Gruppenleiter Entwicklung Lenksystem, und Christian Heiss, BMW Entwicklung Fahrdynamik.
Der Anspruch jedes Ingenieurs: Das Gesamtpaket aus der Lenkung und allen anderen Komponenten des Fahrwerks soll der Person am Steuer alles an die Hand geben, um sie zu einem besseren Fahrer zu machen.
A
Anlenkverhalten:
Die Eigenschaft des Fahrzeugs, Lenkbefehle sauber und direkt aus Geradeausfahrt umzusetzen.
D
Dämpfung:
Die Lenkungsdämpfung stellt sicher, dass das Lenkrad sich nie zu schnell dreht.
G
Geradeauslauf:
Die Fähigkeit des Fahrzeugs, ohne Lenkeinschlag exakt geradeaus zu fahren.
Grenzbereich:
Der schmale Bereich, in dem das Auto beispielsweise eine Kurve durchfährt, gerade noch, ohne dass es dabei ausbricht oder unkontrollierbar wird.
L
Lenkkraft:
Die Kraft, die der Fahrer aufbringen muss, um die Lenkung zu bewegen (➜ (Lenk-) Unterstützung).
R
Rücklauf:
Der Rücklauf stellt sicher, dass sich das Lenkrad immer wieder in die Geradeaus-Stellung dreht, so wird ein guter ➜ Geradeauslauf garantiert.
U
Unterstützung:
Diese garantiert die Servolenkung. Eine rein mechanische Lenkung wird allein von der Körperkraft, die der Fahrer am Lenkrad aufwendet, bewegt.
So ist eine Lenkung aufgebaut
Die Lenkung eines Fahrzeugs setzt sich, vereinfacht formuliert, aus den folgenden Teilen zusammen: den Spurstangen, dem Lenkgetriebe, der Lenksäule und dem Lenkrad. Hinzu kommen die Elemente der Hinterachslenkung, die optional in bestimmten Modellen verbaut ist. Um das charakteristische Fahrgefühl einer typischen BMW Lenkung zu erreichen, ist es wichtig, mit allen Zulieferern eng zusammenzuarbeiten. Diese geben die Lenkungskomponenten in Baukastenform an BMW. Dort findet dann die Feinabstimmung statt: Die Ingenieure und Testfahrer passen die Lenkungskomponenten an Fahrwerk, Dämpfung, Federn und Bremsen an.
Unterstützung, Dämpfung und Rücklauf sind die drei Eckpfeiler, die das Lenkgefühl prägen.
Unterstützung, Dämpfung und Rücklauf sind die drei Eckpfeiler, die das Lenkgefühl maßgeblich beeinflussen (siehe auch „Das kleine Lenkungs-Abc“). Abhängig sind diese Faktoren von Fahrzeuggeschwindigkeit, Lenkgeschwindigkeit und den Kräften, die auf die Zahnstange im Lenkgetriebe wirken. All diese Parameter werden für jede Variante des BMW Modellprogramms spezifisch appliziert. Das bedeutet, dass sich sogar innerhalb einer Modellfamilie Motor- und Karosserievarianten hinsichtlich ihrer Lenkungsabstimmung unterscheiden – was mit entsprechenden Aufwänden verbunden ist.
Ein Auto soll intuitiv zu fahren sein.
Das macht die perfekte Lenkung aus
Eine gut abgestimmte Lenkung korrigiert die Unzulänglichkeiten der Straße und die Fehler der Person am Steuer, ohne dass diese es merkt. Sie vereinfacht das Fahren, macht es entspannter und damit sicherer. So erklärt das Experte Koch und führt es anhand eines Beispiels weiter aus: „Wenn Sie mit Ihrem Wagen in einer stark verengten Autobahnbaustelle unterwegs sind, müssen Sie dabei oft mit dem Lenkrad die Richtung korrigieren. Die Lenkung eines Autos sollte allerdings so abgestimmt sein, dass eine solche Korrektur nicht nötig ist.“
Gleichzeitig soll die Lenkung den Straßenzustand an den Fahrer übermitteln, sodass er das Kurvenfahren ebenso genießen kann wie den „Weg zum Supermarkt“, wie Heiss verdeutlicht. Eine gute Lenkung muss also das ganze Spektrum der Fahrsituationen abdecken. Das Fahrverhalten eines BMW muss zudem für jeden Typ Fahrer berechenbar sein – egal, ob ein Profi oder ein Anfänger am Steuer sitzt. Oder, wie es Koch ausdrückt: „Es muss vorhersehbar und linear sein. Und das Fahrzeug muss bei jeder Geschwindigkeit das tun, was der Fahrer von ihm erwartet.“
Natürlich muss die Lenkkraft vor allem bei einer direkteren Auslenkung (Auto reagiert direkt auf Lenkbefehle, das Gegenteil wäre träge) an den Fahrzeugtyp und dessen Gewicht angepasst werden. Ist die Lenkung zu leichtgängig, überlenkt man das Fahrzeug, sprich: Man schlägt ungewollt zu stark ein. Beim Anpassen in diesem Fall kommen die detailliert abgestimmten Komponenten wie Lenkgetriebe und Co. zum Tragen: Je besser diese entwickelt sind, desto größer sind die Möglichkeiten beim Feintuning.
Die Kunst besteht darin, die breite Spanne, die sich an Abstimmungsmöglichkeiten ergibt, an das jeweilige Modell anzupassen. So stehen bei einem BMW Z4 der direkte Kontakt zur Fahrbahn und der Fahrspaß im Vordergrund, während für einen BMW 7er Komfortaspekte wichtiger sind. Auf diese Weise erhält jedes Modell seinen individuellen „Charakter“, verdeutlicht Heiss die Prioritäten bei der Lenkungsabstimmung.
- Servolenkung: Diese Lenkunterstützung gehört zu den großen Evolutionsschritten in der Lenkungstechnologie. Dabei wird die Lenkkraft des Fahrers hydraulisch unterstützt. In Vor-Servolenkungszeiten war Einparken unfreiwillig ein Krafttraining. Erst mit der Servolenkung konnten größere und schwerere Fahrzeuge einem größeren Kundenkreis angeboten werden, erläutert Koch.
- Servotronic: Der nächste Entwicklungsschritt bei der hydraulischen Lenkung war die Servotronic. Dank ihr ist es möglich, die Lenkunterstützung zu variieren. Das findet, erklärt Koch, vor allem über den Faktor Geschwindigkeit statt. So hilft die Servotronic beim Rangieren, mit wenig Aufwand zu lenken, während sie beim Schnellfahren Stabilität verleiht. Im Gegensatz zur reinen Servolenkung sei jetzt beides möglich, ergänzt Koch: „komfortables Parken, aber auch schnelles sportliches Fahren, bei dem der Spaß im Vordergrund steht“.
- Elektrische Lenkung: Ingenieur Koch nennt die elektrische Lenkung den „Big Bang“ der Lenkungsgeschichte: Sie bietet die Vorteile einer Servotronic, spart zudem jedoch Treibstoff, denn der Elektromotor des Lenkgetriebes EPS (Electric Power Steering) verbraucht nur Strom, wenn tatsächlich gelenkt wird. Da man überwiegend geradeaus fährt, trägt das aktiv zur Verbrauchsreduktion bei. Umgerechnet bedeutet das eine Verbrauchsersparnis von gut drei Prozent. Klingt wenig, ist jedoch gewaltig. Zudem macht die EPS sämtliche Lenkfunktionen vom Parkassistenten bis zum autonomen Fahren erst möglich.
- Hinterachslenkung: Eine Hinterachslenkung unterstützt das agile Fahrverhalten eines Autos noch weiter. Denn sie erhöht die Spurstabilität bei höheren Geschwindigkeiten (die Hinterräder schlagen in die gleiche Richtung ein wie die Vorderräder) und macht das Fahrzeug bei niedrigem Tempo wendiger (die Hinterräder schlagen in die entgegengesetzte Richtung ein wie die Vorderräder). So verkleinert sich der Wendekreis deutlich. Durch eine Hinterachslenkung „schrumpft“ der Wagen im Handling gefühlt um eine Wagenklasse. Bei BMW ist die Hinterachslenkung für den neuen BMW 5er und andere Modelle erhältlich.
Des Ingenieurs liebstes Tool: das „Popometer“
„Popometer“ – was wie ein Wort aus der Kindersprache klingt, beschreibt das Messinstrument, auf dem die Abstimmungsfahrer sitzen – ihr Gefühl im Gesäß. Kein Computer der Welt kann das Empfinden und die Erfahrung eines Testfahrers ersetzen. Oder wie BMW Experte Heiss es ausdrückt: „Für uns ist das Popometer immer noch das absolut wichtigste Abstimmungsinstrument. Zumindest im letzten Prozessschritt der Abstimmung der Lenkung. Wenn das Fahrzeug nach der Lenkungsentwicklung in der Applikationsabteilung ankommt, geht es um die Charakterausprägung.“
Davor wird selbstverständlich Messtechnik eingesetzt. So können die ersten 30 Prozent des Weges bei der Entwicklung der Komponenten im Vorgang schon mithilfe des Computers gemeistert werden, ergänzt Koch. Mittelfristig sollen einmal bis zu 80 Prozent der Entwicklungsarbeit am Rechner erledigt werden. Doch die letzten 20 Prozent, der Feinschliff, oder, wie Koch es ausdrückt, „der Königsweg, um das typische Lenkgefühl zu definieren“, die kann nur der Mensch meistern. Beim Überprüfen der Ergebnisse, so Heiss, und um offene Punkte aufzuzeigen, würden die Computerdaten helfen. Doch dann heiße es wieder: alle Macht dem Gefühl und der Erfahrung des verantwortlichen Entwicklungsingenieurs. Auf absehbare Zeit sehe er auch nicht, ergänzt Koch, dass sich daran etwas ändern werde, denn Computer könnten dem Menschen diese Aufgabe nicht abnehmen.
Für uns ist das Popometer immer noch das absolut wichtigste Instrument bei der Abstimmung.
Mehr Komfort und Sicherheit geht nicht: die Pull-Drift-Kompensation
Bei BMW ist man davon überzeugt, dass ein harmonisch abgestimmtes Lenksystem auch das sicherste Konzept ist. Kompromisse in Sachen Sicherheit würden niemals eingegangen, betonen Koch und Heiss einstimmig. An der Verbesserung des Komforts wird jedoch stetig geforscht. So entstand ein weiteres Feature von BMW Lenkungen, die Pull-Drift-Kompensation.
Was ist also die Pull-Drift-Kompensation? Ingenieur Koch erklärt es mit folgendem Beispiel: Fahrbahnen fallen aus bestimmten Gründen (Regenabfluss usw.) meist zu einer Seite ab. Ist der Fahrer auf gerader Strecke unterwegs, muss er dennoch ständig gegenlenken, um nicht zur abfallenden Seite hin zu steuern. Das sorgt bei ihm für hohe und ermüdende Haltemomente. Das System erkennt, dass der Fahrer jedoch geradeaus fahren möchte. Dafür bekommt er von der Lenkunterstützung ein höheres Moment. Dagegenlenken muss er zwar immer noch, jedoch mit einem deutlich geringeren und damit angenehmeren Handmoment.
Es gibt keine Kompromisse in puncto Sicherheit.
Das bringt die Zukunft: die Bedeutung der Lenkung für das autonome Fahren
Die Eigenschaften einer hochentwickelten elektrischen Lenkung sind laut Koch der „Türöffner“ für alle kommenden Entwicklungen – insbesondere das autonome Fahren. Erst die elektrische Lenkung würde den Ingenieuren die Chance geben, Computersystemen das autonome Steuern eines Autos zu ermöglichen (➜ Lesen Sie auch: Die fünf Level des Autonomen Fahrens). Zum Einsatz komme das System schon heute bei Parkassistenten (➜ Lesen Sie auch: Übersicht der Assistenzsysteme).
Zum gleichen Themenkomplex gehört „Drive-by-wire“ (frei übersetzt: Fahren ohne mechanische Verbindung). Das ist ein Überbegriff für Systeme, bei denen zwischen den Bedienelementen für den Fahrer (Lenkrad, Bremse und Fahrpedale) und den ausführenden Systemen im Fahrzeug keine direkte mechanische oder hydraulische Verbindung mehr besteht. Für das Lenksystem „Steer-by-wire“ bedeutet dies, dass die Verbindung zwischen Lenkrad und Vorderrädern rein elektrisch ist. Das elektrische Lenkgetriebe übernimmt nun nicht mehr nur die Unterstützungskraft, sondern gibt auch eigenständig auf Basis der Signale vom Lenkrad die Lenkbewegungen an die Achse weiter.
Die Abstimmung der Lenkung eines autonomen Fahrzeugs ist die Königsklasse der Applikation.
Großer Vorteil des „Steer-by-wire“ ist, dass sich Rad und Lenkrad unabhängig voneinander drehen können. Hier ergibt sich auch der Zusammenhang mit dem autonomen Fahren: Ein Mitdrehen des Lenkrads (wie eben beim Parkassistenten) ist nicht mehr notwendig. Eine besondere Herausforderung ist dabei das Sicherheitssystem. Denn die Person am Steuer muss trotz fehlender mechanischer Verbindung auch im Fall eines Fehlers den Wagen kontrollieren können.
Ein Fahrzeug autonom geradeaus steuern zu lassen, dürfte kein großes Problem darstellen? Weit gefehlt, denn bei diesem Vorgang überlagern sich verschiedene Prozesse. „Und das ist für den Computer sehr anspruchsvoll“, erklärt Heiss. „Ein Mensch reagiert intuitiv und steuert gegen, um beispielsweise bei einer leicht abfallenden Fahrbahn die Spur zu halten.“ Die Begriffe Computer und intuitiv passen hingegen weniger gut zusammen. Kurz gesagt: Die Techniker haben noch viel Arbeit vor sich, um dem Computer ein solch menschliches intuitives Fahrverhalten anzutrainieren. Oder anders formuliert: Das Popometer legt die Messlatte sehr hoch.
Autor: Nils Arnold; Illustrationen: Señor Salme