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Es zischt, rattert und hämmert. Die pfeifenden Schlagschrauber geben beim Reifenwechsel im Flutlicht den Takt vor. Der Sechszylinder-Turbomotor des BMW M4 GT3 (➜ Lesen Sie auch: Motorenmeilensteine von BMW) rasselt im typischen Motorsport-Leerlaufsingsang in der Boxengasse des Nürburgrings, während die Boxencrew des BMW Junior Teams um den Rennwagen hetzt. Die Arbeitsschritte sitzen, sprichwörtlich geht alles Hand in Hand. Direkt daneben steht nur scheinbar unbeteiligt ein silberhaariger Mann in einer Vintage BMW M Lederjacke. Die Arme hinter dem Rücken verschränkt beobachtet er die Aktionen der Mechaniker am Rennauto, den Fahrerwechsel, die Anweisungen des Renningenieurs. Die Sonne ist gerade untergegangen hinter den Hügeln in der Eiffel, das 24-Stunden Rennen ist noch in der Anfangsphase, es ist hektisch. All das bringt Jochen Neerpasch nicht aus der Ruhe, im Gegenteil. Mit enormen Detailwissen begleitet er uns beim Interview durch 50 Jahre BMW Motorsportgeschichte.
Herr Neerpasch, Sie haben die BMW Motorsport GmbH, so hieß BMW M damals noch, mitaufgebaut – was war die größte Herausforderung?
Jochen Neerpasch: Anfang der 70er Jahre war BMW Motorsport noch Aufgabe der sogenannten Tuner. Diese erhielten zwar Unterstützung der BMW AG, schlussendlich kochte jedoch jeder sein eigenes Süppchen. Ich war damals bei Ford für den Motorsport zuständig, wir hatten großen Erfolg und schlugen auch BMW auf der Rennstrecke. So kontaktierte mich BMW, um mich von einem Wechsel zu überzeugen. Ich sollte ein koordiniertes BMW Motorsportprojekt anschieben. Die Herausforderung, die Traditionsmarke auch auf der Rennstrecke wieder in die Erfolgsspur zurückzuführen, war reizvoll und ich sagte zu. Nicht jedoch ohne zuvor den Verantwortlichen von BMW zu präsentieren, wie ich mir dies vorstellen würde.
Welche Vision hatten Sie?
Neerpasch: Man wollte mit einem schlagkräftigen Team bei BMW den Motorsport für die Zukunft aufbauen. Dafür war meiner Meinung nach eine eigene Gesellschaft nötig, zudem ein im Serienfahrzeugbau homologiertes leichtes Rennauto – der BMW 3.0 CSL. Man gab mir das Okay dafür und am 1. Mai 1972 habe ich mich dann in München an die Arbeit gemacht. Mit zunächst fünf Mitstreitern. Das technische Know-how war schon damals bei BMW vorhanden – nur ‚durfte‘ man bei BMW offiziell keinen Motorsport betreiben. Technische Entwicklungen in diese Richtung betrieben die Ingenieure nur so nebenbei, nach Feierabend. Schon 1973 konnten wir mit unseren BMW die Ford in der Europa-Tourenwagenmeisterschaft schlagen – zur großen Freude der BMW Vorstände.
Der 24-Stunden-Marathon beginnt für Neerpasch nicht erst mit dem Start des eigentlichen Rennens. Schon in den Stunden zuvor trifft er sich unter anderen mit dem ehemaligen Präsidenten des Welt-Automobilverbands FIA Jean Todt, wohnt dem BMW M Race of Legends (➜ Lesen sie auch: Historische BMW Rennwagen) bei oder tauscht sich mit den Fahrern des Junior Teams aus. Überall wird Neerpasch freudig begrüßt, viele suchen seine Nähe und seinen Rat. Dennoch merkt man: Sein Fokus gilt den Piloten des Junior Teams.
Wie waren die Rennen damals in den 70er Jahren?
Neerpasch: Es war ein toller Motorsport! Hundertausende Zuschauer bei den Sechs-Stunden-Rennen, dazu viele Formel-1-Fahrer, die auch im Tourenwagenrennsport an den Start gingen. Kurz: Das Niveau war extrem hoch. Und wenn ich das noch hinzufügen darf: Höher als das heutige Niveau im Tourenwagensport.
Welchen Anteil haben Sie daran, dass BMW heute als sportliche Marke gilt?
Neerpasch: Vor uns haben die Rennabteilungen nur eine Aufgabe gehabt: Rennautos entwickeln. Wir haben unser Wissen nicht nur dazu genutzt, schnelle Rennwagen noch schneller zu machen. Sondern auch mit High-Performance-Autos für die Straße kommerziellen Erfolg zu haben. Damit waren wir Pioniere. Und worauf wir bei BMW stolz sein können, ist, dass dieser Spirit des Rennsports bis heute in jedem BMW M Fahrzeug mitfährt.
In welche Richtung verlief der Transfer von Know-how: Aus dem Rennsport in den Serienautomobilbau oder andersherum?
Neerpasch: Eine wichtige Frage. Damals floss das Wissen vom Motorsport in die Serienentwicklung. Heute ist der Motorsport so tief in den Genen der BMW M Fahrzeuge verankert, dass aus Serienfahrzeuge Rennfahrzeuge entstehen, wie jetzt beim BMW M4 GT3. Doch nicht nur in den Genen der Autos, der Motorsport-Geist lebt auch in den Ingenieuren, den Fahrern des Junior Teams, kurz: in allen Mitarbeitern von BMW M.
Wir waren Pioniere.
Wenige Minuten vor dem offiziellen Start des Rennens durch die grüne Hölle. Die Streckenposten räumen mit viel Geduld die Start-Ziel-Gerade, Fans mit Boxengassenzutritt müssen jetzt hinter die Absperrung zurück. Die Spannung ist allen Beteiligten anzusehen. Ausgenommen davon: der ehemalige Geschäftsführer von BMW M (➜ Lesen Sie auch: Das BMW M Logo und seine Farben). Es gibt nichts, was Neerpasch auf und neben der Rennstrecke überraschen und aus der Ruhe bringen kann.
Stichwort BMW Junior Team: Was steckt dahinter?
Neerpasch: Ein BMW Junior Team gab es schon 1977. Wir führen die Idee von damals nun fort. Der Grundgedanke dabei ist, die Nachwuchspiloten als Team auszubilden, damit sie als Mannschaft bei den Langstreckenrennen antreten. Die Fahrer sollen gemeinsam lernen, an den Aufgaben wachsen. So lernt man schneller und intensiver. Alles wird gesamtheitlich und zusammen angegangen: physische und psychische Ausbildung, Medienschulung, die Abstimmung der Rennfahrzeuge. Dan Harper, Max Hesse und Neil Verhagen wohnen sogar gemeinsam in einem Appartement am Nürburgring. Sie leben zusammen, arbeiten zusammen, fahren zusammen, und dies seit gut zwei Jahren. Die drei jungen Männer leben Motorsport, den ganzen Tag.
Motorsport gehört zur DNA von BMW M.
Was ist das Ziel dieses Junior Teams?
Neerpasch: Durch das intensive Lernen haben sie schon jetzt in jungen Jahren ein Niveau erreicht, das gestandene Rennfahrer selbst erst mit deutlich mehr Rennerfahrung haben. Die drei unterstützen sich gegenseitig, analysieren und reflektieren jede Runde, jedes Rennen – zu dritt, als Team. Durch diese einmalige Konstellation, alles gemeinsam anzugehen, wollen wir erreichen, dass sie schon in zwei bis drei Jahren zusammen, und die Betonung liegt auf zusammen, mit um Titel fahren, zu den besten Langstreckenteams der Welt gehören. Das wäre das Beste für BMW, das Beste für diese jungen Fahrer. Und daran glaube ich fest.
Die Betonung liegt also klar auf dem Begriff „Team“…
Neerpasch: Genau! Harper, Hesse und Verhagen fahren jedes Rennen als Team. Andere Rennställe agieren mit wechselnden Fahrerkombinationen. Was Zeit für Eingewöhnung und Abstimmung benötigt. Durch diese Teamkonstellation stecken sie auch Rückschläge, die zur Entwicklung eines Rennfahrers dazugehören, einfacher weg. Ein weiterer Punkt ist, dass die Rennfahrzeuge der verschiedenen Hersteller sehr ausgeglichen sind. Was im Umkehrschluss heißt, dass die Piloten den Unterschied ausmachen. Wer das bessere Fahrerteam hat, gewinnt die Rennen.
Nach welchen Kriterien haben Sie diese drei Fahrer für das Junior Team ausgewählt?
Neerpasch: Diese Frage kann ich kurz beantworten. Talent ist und war der ausschlaggebende Grund. Und nicht, dass sie finanzielle Mittel durch Sponsoren, die genannte Mitgift, miteingebracht hätten. Zusammengefasst lautete unsere Strategie: Mit Talent ein Team bilden, und dann durch harte Arbeit zusammen zum Erfolg fahren.
Kurz vor Mitternacht. Neerpasch hält seine Position als stiller Beobachter in der Box des BMW Junior Teams. Bei jedem Fahrerwechsel lässt er den jungen Fahrern, die ihren Stint gerade hinter sich haben, Zeit, um sich zu sammeln. Diese kommen dann von sich aus auf Neerpasch zu und suchen das Gespräch. Wenn man in die Gesichter der jungen Fahrer schaut, hat man stets das Gefühl, dass Neerpasch die richtigen Worte findet. Kurz: er ist der perfekte Mentor.
Was kennzeichnet die Autos von BMW M?
Neerpasch: In einem BMW M Fahrzeug (➜ Lesen Sie auch: 7 Meilensteine von BMW M) können sie selbst zur Rennstrecke reisen. Und dort dann mit demselben Auto den ganzen Tag schnelle Runden drehen. Für beides wurden und werden BMW M Automobile entwickelt. Gleichzeitig sind BMW M Fahrzeuge geeignet für Amateure wie auch Profis. Schnell fahren und Motorsport gehört einfach zur DNA dieser Autos.
Die letzte Frage dreht sich um die Zukunft des Motorsports: Wie wird dieser Ihrer Meinung nach in zehn Jahren aussehen?
Neerpasch: Auch im Rennsport wird das Thema E-Antrieb die Zukunft sein. Doch dafür müssen E-Rennsportwagen leichter werden, die Reichweiten größer. Sie können kein 24-Stunden-Rennen wie dieses hier angehen, wenn das Nachladen noch viel Zeit in Anspruch nimmt. Möglicherweise sind auch hier die Hybridantriebe die Brückentechnologie. Bei einem bin ich mir aber sicher: Motorsport wird es immer geben.
Später Sonntagmittag. Das große Abbauen und Zusammenpacken der Rennställe beginnen, noch während das Rennen läuft. Allen Beteiligten in und an den Boxen ist die Müdigkeit anzumerken. Neerpasch hingegen wirkt so entspannt und aufgeräumt, als könne und wolle er gleich das nächste Langstreckenrennen (➜ Lesen Sie auch: Die 24 Stunden von Le Mans) mit seinen Fahrern des BMW Junior Teams angehen. Freundlich verabschiedet er sich und verschwindet still im Gewimmel hinter der Boxengasse – Jochen Neerpasch, die BMW M Motorsportlegende.
Motorsport wird es immer geben.
Was ist BMW M?
Die BMW M GmbH wurde 1972 als BMW Motorsport GmbH gegründet. Sie ist ein Tochterunternehmen der BMW AG. BMW M produziert leistungsstarke und besonders sportliche BMW Modelle. Viele haben einen legendären Ruf und sind Klassiker. Dazu gehören der Supersportwagen BMW M1 und der BMW M3, Basisauto für einen der erfolgreichsten Tourenwagen überhaupt.
Autor: Nils Arnold; Art: Shin Miura, Madita O'Sullivan, Carolin Wabra; Fotos: Felix Brüggemann