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Wie man einen Klassiker erschafft

Wie man einen Klassiker erschafft

7 min Lesedauer
Treffen zweier Designgrößen: Der eine ist der einflussreichste Autodesigner des 20. Jahrhunderts, der andere führt das Design für die gesamte BMW Group in eine neue, aufregende und zugleich herausfordernde Ära. Während des Concorso d’Eleganza Villa d’Este am Comer See sprachen wir mit Giorgio Giugiaro und Adrian van Hooydonk über den legendären, von Giugiaro designten BMW M1, die Zukunft der BMW Designsprache und die aktuellen Design-Herausforderungen.

4. August 2022

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Herr Giugiaro, Herr van Hooydonk, lassen Sie uns zunächst ein wenig über die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft von BMW Design sprechen ...

Giorgio Giugiaro: Adrian van Hooydonk ist die Zukunft, ich bin die Vergangenheit (lacht).

Dann werden wir über die Vergangenheit und die Zukunft sprechen: Was fühlen Sie, wenn Sie den wunderschönen BMW M1 hier vor dieser atemberaubenden Kulisse sehen? Schließlich feiern wir 50 Jahre BMW M.

Giugiaro: Wer sein ganzes Leben dem Erforschen und dem Design gewidmet hat, sieht meist erst viele Jahrzehnte später, ob seine Arbeit gut und sinnvoll war. Gleichzeitig erkennt man auch, was man hätte besser machen können. Wenn ich hier den BMW M1 sehe, bin ich überrascht. Es mag ein bisschen egoistisch klingen, aber ich könnte sagen, dass es eine angenehme Überraschung ist. Ich denke, das Fahrzeug hat nach wie vor seine Daseinsberechtigung.

Adrian van Hooydonk: Wenn ich mir den BMW M1 anschaue, sehe ich ein sehr spannendes, aber keineswegs kompliziertes Fahrzeug. Außerdem ist er ein kompakter Sportwagen. Diese drei Komponenten gefallen mir. Deshalb ist und bleibt der BMW M1 ein hervorragendes Beispiel dafür, dass man es nicht übermäßig kompliziert machen muss, um einen starken Charakter und ein aufregendes Fahrzeug zu erschaffen.

BMW M Adrian van Hooydonk Giorgio Giugiaro Design Concorso d'Eleganza Villa d'Este

Würden Sie einsteigen und eine Fahrt wagen?

van Hooydonk: Natürlich! Ich bin den BMW M1 schon gefahren, und obwohl er nicht für so große Menschen wie mich gebaut ist, passt man sehr gut hinein.

Giugiaro: Es ist ein Sportwagen, der dank seiner Geräumigkeit sogar Herrn van Hooydonk Platz bietet. So richtig eng ist er also nicht – in dieser Hinsicht ein recht handzahmer Sportwagen.

Was bedeutete das ungewöhnliche Design des BMW M1 für BMW im Jahr 1978? Und was sagt uns das jetzt, wenn wir uns die modernen BMW Fahrzeuge der Gegenwart ansehen?

van Hooydonk: Der BMW M1 war das erste echte, 100-prozentige BMW M Modell. Wie wir alle wissen, begann BMW M als Motorsportunternehmen, das damals die Idee hatte, ein Straßenfahrzeug zu bauen. Der BMW M1 war das erste. Er war von Anfang an als Hochleistungsfahrzeug konzipiert. Aber Herr Giugiaro kennt die ganze Geschichte viel besser (lacht).

Giugiaro: Es war eine Zeit, in der Design und Architektur große Veränderungen durchmachten. Es war eine Zeit, in der die Serienfahrzeuge aufgrund verschiedener Designvorgaben etwas abgeflacht wurden. Der BMW M1 spiegelt diese Eigenschaften wunderbar wider: Es ist so breit wie möglich und hat ein sehr kantiges Design. Die Frage ist, ob seine Wirkung unter den Veränderungen der vergangenen Jahrzehnte gelitten oder profitiert hat. Hier besteht genügend Interpretationsspielraum. Veränderung ist unvermeidlich – das ist nun einmal so. Früher gab es einen großen Unterschied zwischen Sportwagen wie dem BMW M1 und den leistungsstarken Serienfahrzeugen. Heute liegt alles viel näher beieinander.

van Hooydonk: Herr Giugiaro und sein Team haben sich bei der Gestaltung des BMW M1 eines einfachen, aber cleveren Prinzips bedient: Wenn ein Fahrzeug abgerundet wird, sieht es automatisch kürzer aus. Durch sein kantiges Design wirkt der BMW M1 nicht nur länger und gestreckter, sondern auch eleganter.

Herr van Hooydonk, was zeichnet das Designkonzept von BMW aus?

van Hooydonk: Bei BMW geht es um Proportionen und darum, ein Auto zu entwerfen, das auch im Stand so aussieht, als würde es sich bewegen. Es ist zudem wichtig, ein Design zu schaffen, das nicht zu kompliziert ist, aber einen starken Charakter ausstrahlt. Heutzutage baut die BMW Group viele Fahrzeuge. Die Herausforderung besteht darin, ihnen allen ihren eigenen Charakter zu verleihen – daran arbeiten wir jeden Tag. Aber das Wichtigste ist, ihren Zweck so einfach und klar wie möglich zu erfüllen. Design muss nicht kompliziert sein, um fantastisch auszusehen.

BMW M Adrian van Hooydonk Giorgio Giugiaro Design Concorso d'Eleganza Villa d'Este

Herr Giugiaro, wenn Sie die Entwicklung des BMW Designs betrachten, insbesondere im Hinblick auf die letzten Jahre mit Herrn van Hooydonk als Leiter BMW Group Design, was hat Sie am meisten beeindruckt oder überrascht?

Giugiaro: Meiner Meinung nach zwingt der Verkaufsdruck die Hersteller, aggressivere und vielfältigere Formen zu schaffen. Wir haben beide die Befürchtung, dass die Suche nach neuen Designs zu hektisch wird. Die Konkurrenz ist groß – es reicht heutzutage nicht mehr, nur die eigene Identität zu finden, obwohl das natürlich ein wichtiger Aspekt ist. Leider suchen alle nach zu vielen Details. Meiner Meinung nach ist das nicht gut. Das ist nicht als Kritik gemeint. Es ist lediglich eine Beobachtung. Schließlich bin ich in erster Linie Ingenieur und kein Designer. Die Leute wissen nicht mehr, was sie noch tun sollen. Die Recherche ist teilweise ins Stocken geraten, die Suche nach neuen Designdetails läuft aus dem Ruder. Die Marke BMW ist aber nach wie vor stark und schafft tolle Produkte mit klarem, ausdrucksstarkem Design.

Was sind sowohl heute als auch für die Zukunft die Schlüsselfaktoren beim Design eines neuen Fahrzeugs? Wird es immer komplexer?

van Hooydonk: Ich denke schon, denn ein Auto besteht aus so vielen Einzelteilen. Ein Scheinwerfer besteht beispielsweise aus 60 Teilen, ein Rücklicht aus 40 Teilen – das macht den Designprozess ziemlich aufwendig. Deshalb stimme ich Herrn Giugiaro vollkommen zu. Wenn man es schafft, eine klare, einfache Designsprache zu finden, wird sie die Zeit überdauern. Aber im Allgemeinen ist es heutzutage schwieriger, sich nur darauf zu konzentrieren, wie das Auto aussehen wird, da wir eine Vielzahl komplizierter Gesetze einhalten müssen. Und wir haben natürlich viele Konkurrenten. Dabei wird BMW Design mit einer charakterstarken Designsprache stets eigene Wege gehen.

Herr van Hooydonk, können Sie uns einen Ausblick darauf geben, was man in den nächsten Jahren von BMW Design erwarten kann – insbesondere im Hinblick auf den Start der Neuen Klasse 2025? Was können Kunden von jedem BMW in Sachen Elektrifizierung, Digitalisierung und Nachhaltigkeit erwarten?

van Hooydonk: In den nächsten fünf Jahren werden wir enorme technologische Veränderungen erleben. Wir werden sie zum Anlass nehmen, das BMW Design maßgeblich zu verändern. Es wird authentischer, viel moderner und noch cleaner. Jeder wird diese Änderungen auf den ersten Blick erkennen – dennoch immer mit dem Wissen, dass es sich um Fahrzeuge von BMW handelt.

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Lassen Sie uns zum Abschluss ein wenig philosophisch werden: Glauben Sie, dass Automobildesign unser ganzes Leben verändern oder die Welt zu einem besseren Ort machen kann?

van Hooydonk: Ich bin mir sicher, dass unser Design einen großen Einfluss auf die Gesellschaft hat. Wenn wir ein Fahrzeug entwerfen, achten wir zuerst darauf, Ressourcen nachhaltig und verantwortungsbewusst einzusetzen. Wir messen die Energie, die wir für die Herstellung eines BMW benötigen. Letztlich entscheiden die Kunden aber meist anhand des Designs, ob ihnen ein Fahrzeug gefällt oder nicht. Wenn es uns gelingt, einerseits die ökonomischen und ökologischen Herausforderungen des Fahrzeugbaus zu meistern und andererseits etwas Schönes zu schaffen, dann können wir das Verhalten der Kunden emotional beeinflussen und sie zum Beispiel zum Fahren eines Elektrofahrzeugs von BMW anregen. Das ist unsere große Verantwortung, und es kann eine größere Veränderung in der Gesellschaft bewirken, als den Menschen vorzuschreiben, was sie nicht tun sollen.

Giugiaro: Jetzt dreht sich alles um Kosten, Leistung und Ästhetik. Der ästhetische Faktor ist immer noch wichtig, auch wenn neuen Generationen zunehmend andere Fahrzeugmerkmale wichtig sind. Es ist eine kommerzielle und wirtschaftliche Frage. Es werden Gesetze erlassen, die das Wohlergehen der Bürger verbessern sollen. Diese werden zu Sicherheitsvorschriften, mit denen sich Herr van Hooydonk und sein Team auf der ganzen Welt auseinandersetzen müssen. Alles muss zusammenpassen. Das ist eine große Herausforderung für die Automobilhersteller, doch die Käufer sind sich dessen weitgehend nicht bewusst. Aber ich sehe immer deutlicher, wie das Automobil immer mehr in den Mittelpunkt des gesellschaftlichen Interesses rückt.

Zum Abschluss noch eine hypothetische Frage: Wenn Sie zusammen als Team einen BMW entwerfen könnten ...

van Hooydonk: ... dann wäre es sicherlich ein sehr besonderer Wagen (lacht).

Giugiaro: Er wäre elegant, geräumig und authentisch (lacht).

Autor: Barnabas Szoecs; Art: Verena Aichinger, Madita O‘Sullivan; Fotos: Alex Majoli/Magnum Photos

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