Beim Thema Blockchain denken die meisten Menschen an Bitcoins. Die Kryptowährung ist das bekannteste Beispiel für die Anwendung dieser Technologie. Doch Blockchains bieten eine Antwort auf eine Vielzahl von Zukunftsfragen und können auch den Autofahrern das Leben erleichtern, etwa beim Kauf eines Gebrauchtwagens.
„Dabei ist die Blockchain-Technologie selbst nicht der Heilsbringer“, erklärt Dr. Andre Luckow, Head of Distributed Ledger and Emerging Technologies bei der BMW Group. „Vielmehr bietet sie uns die technische Grundlage, um hilfreiche und effektive Lösungen zu schaffen.“
Dr. Luckow leitet in der IT der BMW Group das Team, das gemeinsam mit den Fachbereichen potenzielle Use Cases für die Blockchain-Technologie entwickelt. Diese möglichen Anwendungsfälle haben das Potenzial, die Mobilität der Zukunft zu prägen. Drei davon stellen wir Ihnen hier vor.
Die Blockchain bietet uns die technische Grundlage, um hilfreiche und effektive Lösungen zu schaffen.
Wenn Sie sich jetzt fragen: Was ist Blockchain, hier eine kurze Blockchain-Definition.
Blockchains sind eine neue Form von Datenbank. Sie speichern Transaktionen (z.B. Überweisungen, Lieferungen oder Einkäufe) in Blöcken. Ihre Vorteile ergeben sich vor allem aus zwei Prinzipien:
- Eine Blockchain funktioniert dezentral. Alle Teilnehmer legen zunächst fest, welche Informationen in die Blockchain kommen – sie einigen sich sozusagen auf die Spielregeln ihrer Zusammenarbeit. Dann speichern sie auf der Blockchain gleichberechtigt alle Transaktionen und kontrollieren sich gegenseitig. Es gibt keinen zentralen Server, der ausfallen oder den man manipulieren könnte. Wer Daten nachträglich ändern wollte, müsste das bei mehr als der Hälfte aller Teilnehmer tun.
- Jeder Block erhält einen digitalen Fingerabdruck, den sogenannten Hash. Und jeder Block beinhaltet den Hash des vorangegangenen Blocks und somit quasi dessen codierten Inhalt. So sind alle Blöcke miteinander verkettet (engl. „chain“ = Kette). Würde jemand nachträglich einen Datenblock ändern, würde die Manipulation sofort auffallen, da Inhalt und Fingerabdruck nicht mehr übereinstimmen.
Spätestens beim Wiederverkauf eines Fahrzeugs treten Fragen auf: Wie viele Kilometer ist das Auto gefahren? Hatte es einen Unfall? Und hat der Vorbesitzer die Service-Intervalle eingehalten? Verlässliche Antworten auf diese Fragen versprechen blockchainbasierte Lösungen wie VerifyCar.
Mit dieser App, die gerade pilotiert wird, könnten die Nutzer die komplette Fahrzeughistorie nachverfolgen, verifizieren und Daten mit Dritten teilen – beispielsweise den Kilometerstand. Das ginge sogar noch vor Ort beim Verkaufsgespräch: „Als Kaufinteressent könnte ich mit der VerifyCar-App auf meinem Handy den QR-Code in der App des Verkäufers scannen“, erklärt Dr. Luckow. „Ein grüner Haken signalisiert mir dann, dass die Daten des gebrauchten Fahrzeugs verifiziert und plausibilisiert wurden.“
Sicherer als ein Werkstattstempel
Das digitale Blockchain-Verfahren wäre entsprechend fälschungssicherer als herkömmliche Belege für die Laufleistung eines Fahrzeugs. „Einen Stempel für das Scheckheft kann man theoretisch mit einem Farbdrucker fälschen“, so Dr. Luckow. „Ein Datensatz auf einer Blockchain hingegen kann nach heutigem Stand der Technik nicht manipulieren werden.“ In der VerifyCar-App könnten auch Ereignisse wie Unfälle oder die Anzahl der Vorbesitzer gespeichert werden, ohne die Gefahr einer nachträglichen Fälschung.
Die Blockchain erleichtert aber nicht nur den Datentransfer zwischen Privatpersonen. Autohalter könnten zum Beispiel auch einer Kfz-Versicherung verifizierte Daten über die Laufleistung ihres Autos zukommen lassen, um einen Wenigfahrer-Rabatt zu erhalten. Das funktioniert bislang aus Sicherheitsgründen nur über den Zugriff auf eine isolierte Datenbank. Die dezentrale Blockchain könnte den Zugriff auf diese Informationen erleichtern, ohne Abstriche bei der Sicherheit machen zu müssen.
Das Schlagwort in diesem Fall lautet „Supply Chain Verification“ – das Nachvollziehen und Dokumentieren von Lieferketten. Beides ist nicht nur für Bau- und Ersatzteile von Bedeutung, sondern auch für Materialien.
Manche Rohstoffe wie etwa Kobalt oder Wolfram haben ihren Ursprung in nur schwer kontrollierbaren Quellen, beispielsweise in Minen in Entwicklungsländern. Viele Lieferketten laufen über Dutzende von Stationen wie etwa Zwischenhändler. Solche weiten und verzweigten Wege sind anfällig für Manipulationen. Die BMW Group verfolgt deshalb blockchainbasierte Pilotprojekte, die den Weg der Mineralien nachvollziehbar machen.
Zunächst stellt sich die Frage: Wie lässt es sich physisch verhindern, dass ein Material ausgetauscht oder vermischt wird? Dafür kommen klassische Methoden zum Einsatz wie etwa Barcodes oder Versiegelungen – aber auch innovative Techniken wie chemische Tracer. Das sind chemische Zusätze, die einer Materialcharge beigemischt werden, sie individuell markieren und die mit einem Scanner ausgelesen werden können.
Lieferkette auf der Blockchain
Dann folgt die Verbindung der physischen mit der digitalen Welt: Jeder Schritt der Lieferkette wird in einer Blockchain dokumentiert – also dezentral, jederzeit einsehbar und fälschungssicher. So kann beispielsweise eine Raffinerie den Nachweis führen, dass der angelieferte Rohstoff tatsächlich aus einer bestimmten Mine stammt und nicht aus problembehafteten Quellen.
Das blockchainbasierte Verfahren verspricht im Geschäftsalltag viele Vorteile wie etwa erleichterte Zertifizierungen und verkürzte Prozeduren beim Zoll. Auch für die Endkunden liegen die Vorteile einer mittels Blockchain verifizierten Lieferkette auf der Hand: einen besseren Schutz vor gefälschten Ersatzteilen zum Beispiel oder auch ein gutes Gewissen hinsichtlich der Rohstoffe, die für das Auto eingesetzt werden.
Fahrer von Elektroautos oder Plug-in-Hybriden (➜ Typologie von E-Autos) kennen das Problem: Man fährt mit dem Fahrzeug an eine Ladestation – und verfügt leider nicht über die passende Kundenkarte, weil man mit dem Anbieter keinen Vertrag abgeschlossen hat.
Hier verspricht die Blockchain Abhilfe: durch ein dezentrales Ladenetzwerk und sogenannte Smart Contracts mit Stromversorgern. Unter Smart Contracts versteht man virtuelle Verträge, deren Abwicklung und Einhaltung über eine Blockchain garantiert werden.
Das von der BMW Group unterstützte Blockchain-Modellprojekt „Charge Chain“ zielt auf ein möglichst komfortables Szenario ab: Der Kunde steckt den Ladestecker in die Ladesäule und in sein Fahrzeug und muss sich um nichts weiter kümmern. Nicht um den Anbieter, nicht um die Identifizierung, die er bislang mittels Kundenkarte vornehmen muss, nicht um den für ihn günstigsten Tarif zum Laden an dieser Säule – das alles erledigt im Hintergrund eine Blockchain.
Bei diesem Pilotprojekt spielt die Blockchain-Technologie eine ihrer größten Stärken aus: die Verifizierung und sichere Abwicklung von Transaktionen, maschinenbasiert und ohne einen Mittelsmann. Die Stromversorgungs-Unternehmen oder Ladesäulen-Anbieter benötigen zum Beispiel keine Bank, um Geldtransaktionen abzuwickeln. Das lösen sie miteinander mit Hilfe der Blockchain-Technologie.
Autonome Autos laden sich selbst
Das volle Potenzial einer Blockchain werden dann autonome Autos (➜ Der Weg zum autonomen Fahren) ausschöpfen können: wenn sie eines Tages eigenständig an Ladestationen fahren. Dann benötigt man keinen Menschen mehr, der einen Ladestecker anschließt oder eine Karte ans Gerät hält. Alle Transaktionen, die heute ein Fahrer auslöst, kann das Fahrzeug dann selbst anstoßen. Und die Blockchain dient dabei als Technologie im Hintergrund, die all das ermöglicht.
Wir können jetzt noch gar nicht absehen, welche Möglichkeiten uns die Blockchain in Zukunft bieten wird.
Blockchain in der Automobilindustrie – eine Technologie mit Potenzial
Ob und wann die genannten Anwendungsbeispiele der Blockchain-Technologie umgesetzt werden, das kann man im Moment noch nicht sagen. Für Experten wie Dr. Andre Luckow sind sie jedenfalls erst der Anfang: „Wir können jetzt noch gar nicht absehen, welche Möglichkeiten uns die Blockchain in Zukunft bieten wird. Umso wichtiger ist es, dass wir eine aktive Rolle bei der Entwicklung dieses Potenzials einnehmen.“
Animationen/Video: vyuu, Benjamin Roth; Autor: Ingo Wilhelm, Collin Müller